Das ehemalige Gasthaus „Deichschänke“ in Uetersen

Ein Bei­trag von Mat­thi­as Bun­zel in TOP 45

Das ehe­ma­li­ge Gast­haus „Deich­schän­ke“ liegt unmit­tel­bar an der Deich­schart, die die land­sei­ti­ge Zufahrt zum Ueter­se­ner Klos­ter­deich-Hafen an der Pinn­au bil­det. Auch wenn die ursprüng­li­che Funk­ti­on des Hau­ses heu­te auf den ers­ten Blick nicht mehr erkenn­bar ist, so haben doch vie­le Ein­woh­ner aus dem Ein­zugs­be­reich der Stadt Ueter­sen sowie akti­ve und ehe­ma­li­ge Was­ser­sport­ler der Regi­on, die in der ers­ten Hälf­te des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts gebo­ren sind, zum Teil noch sehr leb­haf­te Erin­ne­run­gen an die­se Schank­wirt­schaft. Dass die­ser Ort im Bewusst­sein der älte­ren Zeit­zeu­gen einen nach wie vor hohen Stel­len­wert ein­nimmt, ist ins­be­son­de­re auf das Wir­ken und die Per­sön­lich­keit der letz­ten Wir­tin, von der die Gast­stät­te betrie­ben wur­de, zurück­zu­füh­ren. Nach Mar­ga­re­te Kurth wird der Betrieb übli­cher­wei­se auch nicht mit sei­nem offi­zi­el­len Namen als „Deich­schän­ke“, son­dern als „Tan­te Gre­te“ bezeich­net: Der Name der Wir­tin ging im Lau­fe der Zeit qua­si auf ihren gesam­ten Betrieb über.

Auszug aus der topographischen Karte Nr. 2323 (Uetersen), Maßstab 1:25000. Der Standort des damaligen Gasthauses Deichschänke ist umrahmt. Die Karte zeigt die Situation vor der Pinnaubegradigung und der Schaffung des Klosterdeich-Hafens. (Landesvermessungsamt Schleswig-Holstein 1955)
Aus­zug aus der topo­gra­phi­schen Kar­te Nr. 2323 (Ueter­sen), Maß­stab 1:25000. Der Stand­ort des dama­li­gen Gast­hau­ses Deich­schän­ke ist umrahmt. Die Kar­te zeigt die Situa­ti­on vor der Pinnau­be­gra­di­gung und der Schaf­fung des Klos­ter­deich-Hafens. (Lan­des­ver­mes­sungs­amt Schles­wig-Hol­stein 1955)

Die Geschich­te des Gast­hau­ses „Deich­schän­ke“ beginnt in der Zeit der Wen­de vom 18. zum 19. Jahr­hun­dert. Als damals der Schiffs­ver­kehr auf der Pinn­au ins­ge­samt stär­ker wur­de und damit auch der Betrieb an den Anle­ge­stel­len des Klos­ter­dei­ches zunahm, ent­stand hier der Bedarf für eine neue Restau­ra­ti­on, die vom Was­ser aus leicht zu errei­chen war.1 Im Jahr 1801 wur­de am Knie des nahe­zu recht­wink­li­gen Fluss­lau­fes der damals noch unbe­gra­dig­ten Pinn­au eine neue Schän­ke errich­tet, die zunächst den Namen „Zum grau­en Gie­bel“ trug.2

Über die Betrei­ber der Wirt­schaft lie­gen für die Zeit zwi­schen der Errich­tung und dem Jahr 1893 kei­ne gesi­cher­ten Infor­ma­tio­nen vor. Für die Zeit ab 1893 lässt sich aber sagen, dass der Betrieb der Gast­stät­te bis zur Schlie­ßung des Lokals in den Hän­den einer Fami­lie blieb, näm­lich der Fami­lie Plump/Kurth. Peter Plump war zur Zeit der Über­nah­me des Gast­stät­ten­be­trie­bes im Jahr 1893 bereits Hafen­meis­ter des Klos­ter­deich­ha­fens. Er hat­te somit in der Fol­ge­zeit zwei für den Betrieb des Hafens wesent­li­che Auf­ga­ben inne.3 Im „Adreß­buch – für die Elb­ge­gend. Mit Geschäfts-Anzei­ger und Ueber­sichts-Plan von Blan­ke­ne­se“ aus dem Jahr 1893 wird Peter Plump dem­entspre­chend auch unter der Adres­se Deich­stra­ße 33 als „Schank­wirt und Hafen­meis­ter“4 auf­ge­führt. Um die­se Zeit wur­de der Lauf der Pinn­au auf Höhe der Gast­stät­te erst­mals regu­liert, sodass auch grö­ße­re Fracht­schif­fe an den Klos­ter­deich-Anle­gern vor Anker gehen und die benach­bar­ten Indus­trie­be­trie­be belie­fern konn­ten.5

Für die Jah­re 1904, 1914 und 1927 lie­gen ver­gleich­ba­re Adress­bü­cher vor, die alle­samt den Betrieb der Gast­stät­te durch Peter Plump bele­gen. Aller­dings vari­ie­ren die Anga­ben zur Berufs­be­zeich­nung. So wird Herr Plump für das Jahr 1904 ledig­lich als Gast­wirt, für 1914 erneut als Gast­wirt und Hafen­meis­ter und für 1927 wie­der­um bloß als Gast­wirt auf­ge­führt.6

Mag es hin­sicht­lich sei­ner Tätig­keit als Hafen­meis­ter des Ueter­se­ner Klos­ter­deich­ha­fens von Zeit zu Zeit Unter­bre­chun­gen gege­ben haben, so hat­te er doch die Tätig­keit als Gast­wirt von 1893 an kon­ti­nu­ier­lich inne, bis er die Wirt­schaft an sei­ne Toch­ter Mar­ga­re­te Kurth, geb. Plump (1899–1989)7 abgab. Über den Zeit­punkt des Gene­ra­tio­nen­wech­sels gibt es unter­schied­li­che Anga­ben; sowohl das Jahr 19228 als auch das Jahr 19439 wer­den hier­für genannt.

In jedem Fall erlang­te die Gast­stät­te, die inzwi­schen offi­zi­ell den Namen „Deich­schän­ke“ erhal­ten hat­te, unter der Ägi­de von Mar­ga­re­te Kurth, gemein­hin Tan­te Gre­te genannt, als Aus­flugs­lo­kal beson­de­re Berühmt­heit: „Es gab damals wohl kaum einen Ueter­se­ner, der nicht ein­mal in den urge­müt­li­chen, mit alten Delf­ter Flie­sen aus­ge­stat­te­ten Gast­raum hin­ein­ge­schaut hat.“10 Nicht nur die Atmo­sphä­re des Gast­rau­mes, son­dern auch das beson­de­re Wesen der Wir­tin trug dazu bei, dass der Begriff „Tan­te Gre­te“ in Ueter­sen und Umge­bung zu einem Syn­onym für geleb­te Gast­lich­keit wur­de: „Die sehr herz­li­che und reso­lu­te Wir­tin ließ […] jun­ge Leu­te, die nicht viel Geld hat­ten, bei ihr in der Küche für ihre Fei­ern kochen. Nur die Geträn­ke wur­den dann bezahlt“.11 Die Lage in unmit­tel­ba­rer Nähe der Pinn­au, die ursprüng­lich eher funk­tio­na­le Grün­de gehabt hat­te, trug nun ein Übri­ges dazu bei, dass neben den Fluss­schif­fern auch die erho­lungs­su­chen­den Ein­hei­mi­schen die­sen Ort mehr und mehr für sich ent­deck­ten: „Bei schö­nem Wet­ter konn­te man auf dem Deich sit­zend den regen Schiffs­ver­kehr auf der Pinn­au beob­ach­ten.“12 Dies galt natür­lich umso mehr auch für Was­ser­sport­ler. Beson­ders bei Mit­glie­dern des Was­ser­sport­ver­eins Ueter­sen, deren Boo­te im etwa drei Kilo­me­ter ent­fern­ten Stich­ha­fen im Orts­kern von Ueter­sen lagen, war „Tan­te Gre­te“ ein belieb­tes Ziel für kur­ze Aus­flugs­fahr­ten nach Fei­er­abend oder am Wochen­en­de.13

Das Gasthaus „Deichschänke“ um 1959. Das Foto zeigt die Gaststätte aus der Perspektive des Pinnaudeiches. Im Vordergrund Mitglieder des Uetersener Wassersportvereins und weitere Gäste von „Tante Grete“. Anhand dieses Fotos entstand die Idee für den vorliegenden Text. (Archiv Siegfried Bunzel)
Das Gast­haus „Deich­schän­ke“ um 1959. Das Foto zeigt die Gast­stät­te aus der Per­spek­ti­ve des Pinnau­dei­ches. Im Vor­der­grund Mit­glie­der des Ueter­se­ner Was­ser­sport­ver­eins und wei­te­re Gäs­te von „Tan­te Gre­te“. Anhand die­ses Fotos ent­stand die Idee für den vor­lie­gen­den Text. (Archiv Sieg­fried Bunzel)

Das Ver­hält­nis zwi­schen Frau Kurth und ihren Gäs­ten ging über das rein Geschäft­li­che offen­bar weit hin­aus, so dass die Gren­zen zwi­schen ver­wandt­schaft­li­chen, freund­schaft­li­chen und wirt­schaft­li­chen Bezie­hun­gen ver­schwam­men: „Tan­te Gre­tes Geburts­tag war jedes Jahr ein gro­ßes Fami­li­en­tref­fen. Obwohl sie kei­ne eige­nen Kin­der hat­te, traf sich bei ihr die gesam­te Groß­fa­mi­lie, als deren Mit­tel­punkt sie galt. Für jeden hat­te sie ein offe­nes Ohr. Dafür war sie in der Fami­lie und bei ihren Gäs­ten so sehr beliebt“.14

 

Adressangabe auf der Rückseite der Postkarte. Neben dem offiziellen Namen wird sicherheitshalber die allgemein gebräuchliche Bezeichnung „Tante Grete“ gleich mit angegeben. (Archiv Stadt- und Heimatgeschichtliches Museum Uetersen)
Adress­an­ga­be auf der Rück­sei­te der Post­kar­te. Neben dem offi­zi­el­len Namen wird sicher­heits­hal­ber die all­ge­mein gebräuch­li­che Bezeich­nung „Tan­te Gre­te“ gleich mit ange­ge­ben. (Archiv Stadt- und Hei­mat­ge­schicht­li­ches Muse­um Uetersen)

Mar­ga­re­te Kurth schaff­te es, die Ein­hei­mi­schen für ihre Gast­wirt­schaft zu begeis­tern – ihrer Beliebt­heit bei der Berufs­schiff­fahrt tat dies jedoch kei­nen Abbruch. Bei ihr wur­den die Besat­zun­gen von Bag­ger­schu­ten ver­pflegt, die auf der Pinn­au ihren Dienst ver­sa­hen. Als in den 1950er Jah­ren der Ueter­se­ner Stich­ha­fen aus­ge­baut wur­de, um zusätz­li­che Kapa­zi­tä­ten für die Indus­trie­be­trie­be im Orts­kern zu schaf­fen, kämpf­ten die Schif­fer dafür, dass die Anle­ge­stel­le am alten Lösch­platz des Klos­ter­dei­ches erhal­ten blieb. Haupt­grund hier­für war nicht etwa die güns­ti­ge Lage des Anle­gers – son­dern die Beliebt­heit von Tan­te Gre­tes Knei­pe. Die­se wäre vom Stich­ha­fen aus weit ungüns­ti­ger zu errei­chen gewe­sen.15 Es soll sogar vor­ge­kom­men sein, dass Kapi­tä­ne mit Kurs auf Ueter­sen ihre Fahrt so auf die Tide abstimm­ten, dass sie sich bei Nied­rig­was­ser noch nicht im Orts­kern, son­dern erst auf Höhe des Klos­ter­dei­ches befan­den. Dies gab ihnen die will­kom­me­ne Mög­lich­keit, bei Tan­te Gre­te eine „Zwangs­pau­se“ einzulegen.

Zudem fan­den die Zoll­kon­trol­len für ein­ge­führ­te Waren im Stich­ha­fen statt, und so bot die Ein­kehr bei Tan­te Gre­te zudem, falls not­wen­dig, auch die Mög­lich­keit, „die eine oder ande­re geschmug­gel­te Ware [von Bord zu schaf­fen], bevor der Zoll kon­trol­lier­te.“16

Auch wenn es über münd­li­che Aus­sa­gen hin­aus natur­ge­mäß schwer ist, hier­für Bele­ge zu fin­den: Die Exis­tenz des Gast­hau­ses Deich­schän­ke und sei­ne Attrak­ti­vi­tät für die Berufs­schiff­fahrt könn­ten somit maß­geb­lich dazu bei­getra­gen haben, dass der Klos­ter­deich neben dem Stich­ha­fen als zwei­te Anle­ge­stel­le auf Ueter­se­ner Gebiet erhal­ten blieb und im Zuge der Pinnau­be­gra­di­gung in den 1960er Jah­ren sogar zu einem voll­wer­ti­gen Sport­boot­ha­fen aus­ge­baut wurde.

Postkarte der „Deichschänke“ mit vier Motiven. Im Uhrzeigersinn, beginnend oben links: Die Gaststätte vom Pinnaudeich aus gesehen, der Tresenbereich, ein Kümo bei „Tante Grete“ vor Anker, der Gastraum. Die Innenansichten zeugen von der großzügigen Verwendung von Delfter Fliesen. (Archiv Stadt- und Heimatgeschichtliches Museum Uetersen)
Post­kar­te der „Deich­schän­ke“ mit vier Moti­ven. Im Uhr­zei­ger­sinn, begin­nend oben links: Die Gast­stät­te vom Pinnau­deich aus gese­hen, der Tre­sen­be­reich, ein Kümo bei „Tan­te Gre­te“ vor Anker, der Gast­raum. Die Innen­an­sich­ten zeu­gen von der groß­zü­gi­gen Ver­wen­dung von Delf­ter Flie­sen. (Archiv Stadt- und Hei­mat­ge­schicht­li­ches Muse­um Uetersen)

Dass „Tan­te Gre­te“ sich zu einem belieb­ten Aus­flugs­ziel ent­wi­ckelt hat­te, lässt sich auch dar­an fest­ma­chen, dass Frau Kurth ihren Gäs­ten Post­kar­ten mit Moti­ven des Hau­ses anbot. Für ein rein auf der Berufs­schiff­fahrt basie­ren­des Publi­kum wäre dies ver­mut­lich nicht not­wen­dig gewe­sen. Zudem dürf­ten die Haus-Post­kar­ten einen gewis­sen zusätz­li­chen Wer­be­ef­fekt gehabt und die Gast­stät­te noch fes­ter im all­ge­mei­nen Bewusst­sein ver­an­kert haben.

 

Die umfang­rei­che Ver­wen­dung von Delf­ter Flie­sen bei der Aus­ge­stal­tung des Gast­rau­mes hat ihre eige­ne Geschich­te, wie Jan-Otto Plump, Zim­mer­meis­ter aus der Nach­bar­schaft und qua­si bei Tan­te Gre­te auf­ge­wach­sen, berich­tet.17 Ihm zufol­ge wur­de der Wand­schmuck – ver­mut­lich zunächst als Bal­last – auf den Schif­fen hol­län­di­scher Deich­bau­er mit­ge­bracht, die mit der Erneue­rung des Ueter­se­ner Klos­ter­dei­ches beauf­tragt wor­den waren. In Ueter­sen ange­kom­men, wur­den die Flie­sen als Ersatz-Zah­lungs­mit­tel zur Beglei­chung der Rech­nun­gen in der Deich­schän­ke genutzt und fan­den so als Deko­ra­ti­ons­ele­ment ihren Weg ist den Gast­raum. Jan-Otto Plump hat­te den Plan, Frau Kurth zu einem rea­len wirt­schaft­li­chen Vor­teil zu ver­hel­fen. Er woll­te die Flie­sen auf­grund ihres erheb­li­chen mate­ri­el­len Wer­tes aus der Wand her­aus­lö­sen und ver­kau­fen. Sie abzu­neh­men, erwies sich jedoch auf­grund der Ver­wen­dung von Muschel­kalk als Ver­bund­stoff bei der Anbrin­gung als unmög­lich. Jeder Ver­such führ­te unwill­kür­lich zur Zer­stö­rung der jewei­li­gen Flie­se, sodass Herr Plump sein Vor­ha­ben schnell wie­der auf­gab und die Gast­stät­te für die gesam­te Dau­er ihrer Exis­tenz mit wert­vol­ler Delf­ter Kera­mik aus­ge­stat­tet blieb.

Das ehemalige Gasthaus „Deichschänke“ im Jahre 2012. (Foto: Matthias Bunzel)
Das ehe­ma­li­ge Gast­haus „Deich­schän­ke“ im Jah­re 2012. (Foto: Mat­thi­as Bunzel)

Herr Plump erin­ner­te sich im Gespräch zudem leb­haft an die Atmo­sphä­re, die bei „Tan­te Gre­te“ herrsch­te. So leg­te Frau Kurth gro­ßen Wert dar­auf, dass der Gast­stät­ten­be­trieb mehr war als der blo­ße Kon­sum von Spei­sen und Geträn­ken. Ihre Gäs­te soll­ten sich bei ihr unbe­dingt wohl­füh­len. Die­se Auf­fas­sung führ­te dazu, dass Frau Kurth ihre Gast­stät­te bis­wei­len kur­zer­hand schloss, wenn sie die Stim­mung als trü­be emp­fand – aber nicht, um ihre Gäs­te nach Hau­se zu schi­cken, son­dern um mit ihnen gemein­sam Aus­flü­ge nach Glück­stadt oder gar nach St. Pau­li zu unter­neh­men, und zwar auf Rech­nung der Wirtin.

Die Mög­lich­keit anschrei­ben zu las­sen, war bei Geld­knapp­heit der Gäs­te obli­ga­to­risch, und oft­mals wur­de über­haupt nur ein Teil der kon­su­mier­ten Lebens- und Genuss­mit­tel in Rech­nung gestellt. Da sie Eigen­tü­me­rin des Hau­ses war und dem­zu­fol­ge nur gerin­ge lau­fen­de Kos­ten hat­te, ergriff sie gern die Gele­gen­heit, sich gegen­über ihrem Publi­kum groß­zü­gig zu zeigen.

Musi­ka­li­sche Ein­la­gen gehör­ten wie selbst­ver­ständ­lich zum Gast­stät­ten­be­trieb dazu. In ers­ter Linie wur­de Akkor­de­on gespielt. Herr Pent­zi­en, ein Fisch­händ­ler aus der Nach­bar­schaft, über­nahm die­se Auf­ga­be gern. Wenn er eine Pau­se benö­tig­te, ließ er sich von sei­nen Söh­nen an sei­nem Instru­ment ver­tre­ten, die dann eigens dafür zu Tan­te Gre­te beor­dert wurden.

Der Ehe­mann von Frau Kurth, der selbst zur See fuhr, hielt sich übri­gens aus dem Betrieb der Gast­stät­te stets her­aus. Er trat sel­ten in Erschei­nung und war bei den Gäs­ten der Knei­pe eher unbe­kannt. Frau Kurth ging 1962 im Alter von 63 Jah­ren offi­zi­ell in den Ruhe­stand. Sie blieb aber in ihrem Haus woh­nen und führ­te den Betrieb zunächst im Klei­nen wei­ter. Im Lau­fe der Zeit zog sie sich aus dem Gast­ge­wer­be zurück und ver­starb 1989 im Alter von 90 Jah­ren. Da sie kin­der­los geblie­ben war und in der wei­te­ren Ver­wandt­schaft nicht der Wunsch bestand, das Haus zu über­neh­men, wur­de es nach ihrem Tod ver­kauft und in ein Mehr­fa­mi­li­en-Wohn­haus umge­wan­delt. Heu­te erin­nert äußer­lich nicht mehr viel an die Ver­gan­gen­heit als öffent­li­ches Haus, obwohl die bau­li­chen Ver­än­de­run­gen bis auf das Ent­fer­nen von Schrift­zü­gen und den Ein­bau neu­er Fens­ter ver­hält­nis­mä­ßig gering geblie­ben sind. An dem für die­se Regi­on cha­rak­te­ris­ti­schen grün-wei­ßen Gie­bel erken­nen Ein­ge­weih­te das Haus mit der über über zwei­hun­dert­jäh­ri­gen Geschich­te auch heu­te noch auf den ers­ten Blick wieder.

Margarete Kurth. (Foto: Geschichtswerkstatt Uetersen)
Mar­ga­re­te Kurth. (Foto: Geschichts­werk­statt Uetersen)

Mar­ga­re­te Kurth ver­kör­per­te den Typus des Gastwirtes/der Gast­wir­tin, bei dem/der die Bezie­hung zur Gast­stät­te und den Gäs­ten weit über das rein Beruf­li­che hin­aus­geht, so dass Pri­vat­le­ben und Beruf nicht mehr von­ein­an­der zu tren­nen sind. Die Deich­schän­ke wur­de durch ihr Natu­rell für Besu­cher des Hau­ses zu einem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­raum und für sie selbst zu einem Dreh- und Angel­punkt der Bezie­hun­gen zur Außenwelt.

 

An ihrem Bei­spiel zeigt sich, dass „Gast­wirt zu sein“ oft nicht ein­fach ein Beruf, son­dern viel­mehr ein Lebens­ent­wurf ist. Auch heu­te gibt es noch gas­tro­no­mi­sche Betrie­be, die unter dem Namen ihres Betrei­bers bekann­ter sind als unter ihrer offi­zi­el­len Bezeich­nung. Oft­mals bie­ten die­se Betrie­be mit ihrer Mischung aus per­sön­li­cher Note und tra­di­tio­nel­ler Behag­lich­keit sehr über­ra­schen­de und erfreu­li­che Aus­geh-Erleb­nis­se. Es ist ein Stück Lebens­qua­li­tät, dass es die­se Erleb­nis­se nach wie vor gibt, und es macht Freu­de, mit dem einen oder ande­ren Besuch zur Erhal­tung die­ser Art gas­tro­no­mi­scher Betrie­be selbst beizutragen.

Literatur

  • Brütt, Ernst/ Ger­hard Schar­fen­stein (1995): Ueter­sen und sei­ne Ein­woh­ner in den letz­ten 150 Jah­ren. Uetersen.
  • Geschichts­werk­statt Ueter­sen (2009): Por­träts Ueter­se­ner Frau­en. Uetersen.
  • Rahn, Micha­el (2006): Erin­ne­run­gen an die Jacobs-Werft, in: Ham­bur­ger Abend­blatt v. 11. März 2006. Abge­ru­fen auf: http://www.abendblatt.de/region/pinneberg/article790737/Erinnerungen-an-die-Jacobs-Werft.html, Stand 20.10.2012.
  • Sön­nich­sen, Mar­len (2003/04): Die Pinn­au. Von der Klapp­brü­cke bis zur Dreh­brü­cke. Ueter­sen. Abge­ru­fen auf: http://www.die-pinnau.kulturgemeinschaft-tornesch.de/dateien/copyright.htm, Stand: 20.10.2012.
  • Wolff, Jür­gen (2011): Die Pinn­au im Lau­fe der Jahr­hun­der­te, Teil I und II (= Ansichts­kar­ten. Ein Spie­gel der geschicht­li­chen Ent­wick­lung Ueter­sens, Fol­ge 7/8.). In: Ueter­se­ner Nach­rich­ten Nr. 235, 8.10.2011, S. 10 und Nr. 241, 15.10.2011, S. 10.

Fußnoten

  1. Vgl. Wolff 2011.
  2. Vgl. Wolff 2011.
  3. Vgl. Wolff 2011. Ob der Hafen­meis­ter bereits vor­her in Per­so­nal­uni­on auch Gast­wirt war, ist nicht bekannt.
  4. Vgl. Brütt/Scharfenstein 1995, S. 32. Das genann­te Adress­buch stellt die ältes­te der­zeit bekann­te Quel­le dar, mit deren Hil­fe die Abfol­ge der Betrei­ber die­ser Gast­stät­te rekon­stru­iert wer­den kann.
  5. Vgl. Sön­nich­sen 2003/2004.
  6. Vgl. Sön­nich­sen 2003/04, S. 42, 61 und 71. Dies lässt zwei unter­schied­li­che Erklä­rungs­an­sät­ze zu. Ent­we­der kam es bei den Berufs­an­ga­ben in den vor­lie­gen­den Adress­bü­chern zu gewis­sen Unge­nau­ig­kei­ten, oder Herr Plump gab die Tätig­keit als Hafen­meis­ter im Lau­fe sei­nes Berufs­le­bens zwi­schen­zeit­lich mehr­mals ab, um sich auf den Betrieb der Gast­stät­te kon­zen­trie­ren zu kön­nen.
  7. Vgl. Geschichts­werk­statt Ueter­sen 2009, S. 20.
  8. Vgl. Geschichts­werk­statt Ueter­sen 2009, S. 20.
  9. Vgl. Wolff 2011.
  10. Geschichts­werk­statt Ueter­sen 2009, S. 20.
  11. Geschichts­werk­statt Ueter­sen 2009, S. 20.
  12. Geschichts­werk­statt Ueter­sen 2009, S. 20.
  13. Aus­kunft von Sieg­fried Bun­zel, der Ende der 1950er Jah­re selbst Mit­glied im Ueter­se­ner Was­ser­sport­ver­ein und Gast bei Tan­te Gre­te war.
  14. Geschichts­werk­statt Ueter­sen 2009, S. 20.
  15. Vgl. Rahn 2006.
  16. Vgl. Rahn 2006.
  17. Die Namens­gleich­eit zwi­schen Jan-Otto Plump und dem Geburts­na­men von Mar­ga­re­te Kurth ist zufäl­lig und geht nicht auf ein Ver­wandt­schafts­ver­hält­nis zurück. Das Gespräch, auf das sich die fol­gen­den Pas­sa­gen die­ses Tex­tes bezie­hen, fand am 5. Okto­ber 2012 im Wohn­haus von Herrn Plump in Ueter­sen statt. Teil­neh­mer: Jan-Otto Plump, Sieg­fried Bun­zel, Mat­thi­as Bun­zel.

2 Gedanken zu “Das ehemalige Gasthaus „Deichschänke“ in Uetersen

  1. Sehr geehr­te Damen und Herren – 

    Betreff der Deich­schän­ke in Uetersen
    habe ich mit Freu­den die Geschich­te über die­se Deich­schän­ke und
    „Tan­te Gre­te“ in Ueter­sen gele­sen und bin begeis­tert von dem Wort­laut der Abhand­lung. Es spricht ein gewis­ser Respekt dar­aus, den ich nur bestä­ti­gen kann. Ich bin ein Nef­fe die­ser Frau Gre­te Kuhrt und bin neun Jah­re gleich nach dem Krieg dort­selbst aufgewachsen.Heute bin ich selbst bereits 80 Jah­re alt. Mit dem Infor­man­ten Johann Otto Plump bin ich in Ueter­sen zur Schu­le gegan­gen und wir haben vie­le gemein­sa­me Erleb­nis­se aus jener Zeit unse­rer Jugend. 

    Unser aller „Tan­te Gre­te“ (wie auch das Lokal eine Zeit­lang die­sen Namen hat­te) war eine ganz beson­de­re See­le von Mensch. Nach Kriegs­en­de nahm sie unse­re fünf­köp­fi­ge Fami­lie bei sich auf und wei­te­re in Ham­burg aus­ge­bomb­te Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge, die kei­ne ande­re Blei­be fin­den konn­ten. Wir erleb­ten eine glück­li­che Jugend in dem Haus trotz jener ent­beh­rungs­vol­len Zeit. Vie­le Geburts­tags­fei­ern, Hoch­zei­ten, Jubi­lä­en, Skat­aben­de und ande­re Fei­ern wur­den auf fröh­li­che Wei­se durch­ge­führt, die heu­te kaum noch in die­ser Art statt­fin­den können. 

    Etli­ches habe ich noch in Bil­dern fest­ge­hal­ten, aber es wür­de zu weit füh­ren, das hier mit auf­zu­neh­men. Aller­dings möch­te ich Sie laut den Urkun­den mei­ner Ahnen­for­schung bit­ten, den Namen Mar­ga­re­te Kuhrt in Gre­te Kuhrt noch zu korrigieren. 

    Ich dan­ke Ihnen für den lie­be­vol­len, infor­ma­ti­ven Bericht,
    wün­sche Ihnen wei­ter­hin eine glück­li­che Hand in die­sem Bereich
    und grü­ße Sie herzlich 

    Die­ter Picklapp

    Antwort
  2. Holger Piening

    Hal­lo,
    zur Früh­ge­schich­te der „Deich­schän­ke” lässt sich ergän­zen, dass sie vom Bau 1801 bis 1893, also die ers­ten 92 Jah­re ihres Bestehens, im Besitz der Fami­lie Piening stand. Bau­herr war C(laus) Piening. Auf ihn und sei­ne Frau, die die Initia­len M E hat­te, weist der noch am Wohn­teil­gie­bel vor­han­de­ne Mau­er­an­ker hin: CPMEP 1801. Ein Schluss­stein aus Sand­stein, ver­mut­lich an der Stra­ßen­sei­te, trug die Inschrift „C. PIENING / M.E. PIENINGS / Ao. 1801 / Den 27. AUG.” So nach­zu­le­sen im Buch von Wolf­gang Teu­chert und Arnold Lüh­ning: Die Kundstdenk­mä­ler des Krei­ses Pin­ne­berg, S. 328f.). Inter­es­sant wäre, ob der Schluss­stein noch exis­tiert. Das Buch ist von 1961, er kann also inzwi­schen erneu­ert oder unle­ser­lich sein. Die Fami­lie Piening ist seit dem frü­hen 17. Jahr­hun­dert bis heu­te unun­ter­bro­chen in Ueter­sen nach­weis­bar. 1662 war Johan Piening dort Achtsmann. Die spä­te­re „Deich­schän­ke” betrieb als letz­ter Gast­wirt der Fami­lie Otto Piening. Er fir­mier­te 1888 als Destil­la­teur, also Spi­ri­tuo­sen­fa­bri­kant („Ver­fer­ti­ger gebrann­ter Was­ser”, heißt es in einem zeit­ge­nös­si­schen Fremd­wör­ter­buch) und betrieb „Wein­hand­lung und Essig­fa­brik” in der Deichstraße.
    Herz­li­che Grü­ße aus Dithmarschen
    Hol­ger Piening
    Jour­na­list und Autor

    Antwort

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