Ein Beitrag von Jürgen Christiansen in TOP 37
Dithmarschen 1778. In diesem Jahr trat Carsten Niebuhr (1733–1815) seine Stelle als Landschreiber, heute vergleichbar mit dem Amt der Kreisverwaltungsdirektoren, in Meldorf an. Der aus Lüdingworth/Land Hadeln gebürtige Bauernsohn war Landvermesser, Kartograf, Mathematiker und Naturwissenschaftler.
Im Auftrag des Dänischen Königs Friedrich V. nahm er von 1761 bis 1767 an einer Expedition in den Vorderen Orient teil, von der er als einziger Teilnehmer lebend zurückkehrte. Es folgte in Kopenhagen eine zehnjährige Aufarbeitung der Expeditionsaufzeichnungen, nachzulesen in seiner „Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern“. Nach Abschluss dieser Arbeiten entschied Niebuhr sich für die ihm angebotene Landschreiberstelle in Meldorf.
Am Markt in Meldorf baute er sich ein geräumiges Haus, die heutige Domgoldschmiede, wo er mit seiner Familie lebte. Sein Sohn Barthold Georg (1776–183 1), der bekannte spätere Geschichtsforscher und preußische Gesandte in Rom, wuchs hier auf. Carsten Niebuhr pflegte enge Kontakte zum Literaten und Landvogt von Süderdithmarschen (heute etwa Landrat) Heinrich Christian Boie (1744—1806). Doch ging es Niebuhr gesundheitlich nicht immer gut, da die Arabienreise ihre Spuren hinterlassen hatte. Zeitweilig litt er stark unter den Folgen seiner damaligen Erkrankungen. So erholte er sich 1792 nach schwerer Krankheit nur sehr langsam.
Im Jahr 1799, Niebuhr war immerhin schon 66 Jahre alt, kaufte er sich Ländereien im Meldorfer Moor. Insgesamt handelte es sich um ca. 7,5 Hektar etwa 6 bis 7 Kilometer von Meldorf entfernt, östlich der Stadt in der Mieleniederung zwischen dem ehemaligen Fuhlen- und Deepensee, unweit der heutigen, damals allerdings noch nicht vorhandenen wenigen Häuser vom Meldorfer Moor. Niebuhr begann in dieser verlassenen Moorgegend sogleich mit Kultivierungsarbeiten, zog Entwässerungsgräben und betrieb Aufforstung. Sein Sohn Barthold Georg schrieb, dass durch diese selbst auferlegten Pflichten das Leben seines Vaters zweifelsohne verlängert und erheitert wurde.
Im Jahr 1800 erwarb Carsten Niebuhr in Elpersbüttel bei Meldorf einen erst 10 bis 12 Jahre alten Hof und ließ diesen auf sein Land im Moor versetzen. Das Haus war laut Niebuhr 91 Fuß lang und 44 Fuß breit und somit durchaus zu den größeren Marschhöfen zu rechnen. Der gesamte Hausuntergrund wurde durch Sodenauflage tragfähiger gemacht. In Sorge um den schweren Schornstein wurden Pfähle in den Boden gerammt, um ihn zu stützen. Niebuhr verlor hierbei viel Geld, und auch die Aufzucht von Erlen und Birken erwies sich als mühsam und problematisch. Dem Einwohnerzahl-Register von Meldorf vom 13 .2. 1803 ist zu entnehmen, dass ein Marx Busch mit Ehefrau und vier Kindern als „Verwalter auf Sophienhof in Meldorfer Moor, Herrn Justizrat Niebuhr gehörig“ beschäftigt war. Auf alten Karten wird dieser Hof als Niebuhrslust bezeichnet, in Meldorf war er auch als Moorhof bekannt.
Nach Niebuhr hat der Hof verschiedene andere Besitzer gehabt. Zwanzig Jahre nach Niebuhrs Tod brannte das Haus, das durch ihn nicht nur „eine Art von Berühmtheit“, sondern auch „durch seine öftere Anwesenheit einen gleichsam höheren Werth erlangt hatte“ (Dithmarsische Zeitung, 14.2.1835, 4. Jg, S. 56.), ab. So zeigt die um 1919 entstandene Aufnahme einen Nachfolgebau (s. Abb. 2). Im Zweiten Weltkrieg war das Anwesen noch bewohnt, danach verfiel der reetgedeckte Hof immer mehr und wurde unbewohnbar. Anfang der 1950er Jahre erfolgte der Abbruch. Die gesamte Fläche überwuchs mit Gras und wurde wieder zu Weideland. Nur Eingeweihte konnten an der kleinen Erhöhung noch die Lage des Hofes erkennen.
In völlige Vergessenheit ist dieser einst so bedeutende Platz zumindest bei geschichtsinteressierten Personen nie geraten, zumal sich immer noch viele Menschen mit Carsten Niebuhr und seiner Meldorfer Zeit beschäftigen. Aber erst im Rahmen der Flurbereinigung Meldorf durch das Amt für ländliche Räume Husum, Außenstelle Heide, wurden Gestaltungsmaßnahmen für Niebuhrslust vorgesehen. Ein Treffen aller Beteiligten vor Ort fand am 2.2.2006 statt. Die Errichtung einer kleinen Niebuhr-Gedenkstätte und die Übertragung der Ländereien auf die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein war angedacht. Mittels einer 1870 erfolgten Vermessung konnte die Lage des ehemaligen Gebäudes eindeutig bestimmt werden.
Am 20.7.2006 wurde mittels Bagger im Hausbereich vorsichtig die Grasnarbe abgeschoben. Der Archäologe und Museumsleiter Dr. Volker Arnold und ich als Vertreter des Vereins für Dithmarscher Landeskunde konnten dann Untersuchungen vornehmen, vermessen, fotografieren usw. Der größte Teil des Feldstein-Fundaments, steinerne Fußbodenreste, der Schornsteinbereich und außerhalb des Hauses Steinpflaster sowie ein alter Fassbrunnen kamen zum Vorschein. Die schon erwähnten Soden, im Jahre 1800 zwecks Stabilität eingebracht, liegen unverändert an ihrem ursprünglichen Platz.
Alles wurde so belassen, mit Sand überdeckt, die vier Gebäudeecken des Wohnteils ca. 1 m hoch mit Granitsteinen aufgemauert, um sie für Besucher deutlich erkennbar zu gestalten. Der Brunnen wurde oberirdisch eingefasst und zum Schutz vor Zerstörung mit einer verschließbaren Klappe abgedeckt. Hinzu kamen eine hölzerne Schutzhütte, eine ca. 1,50 m hohe warftähnliche Erhöhung mit 10 Metern Durchmesser als Aussichtsplattform und drei Informationstafeln. Die Tafeln geben Auskunft über Carsten Niebuhr, die Mieleniederung, in der dieser Platz liegt, und den verlandeten, etwas südlicher liegenden Fuhlensee. Die gesamte Anlage wurde durch Gräben begrenzt, zum Weg hin sichern Tore vor Viehtritt. Ein kleiner befestigter Parkstreifen ist durch Verbreiterung des Moorweges entstanden.
Am 22.5.2007 konnte die Kulturstätte „Niebuhrslust“ offiziell eröffnet werden und ist seither ein gern und viel besuchter Platz, der lange Zeit nur Eingeweihten bekannt war, jetzt aber allen Interessierten offen steht.
Literatur
Gille, Klaus: Niebuhrs Lust – zwölf Briefe Carsten Niebuhrs an den Vollmacht Piehl. In: Dithmarschen, 1987, H. 3, S. 19–24.
Niebuhr, Carsten: Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern. Zürich 1992.